Freitag, 30. April 2010

Ausgehext

Mit all meinem Kranksein habe ich zwischendurch schon wieder vergessen, was heute für ein Tag ist. Die meisten kennen den 30.04. als Walpurgisnacht, einige auch Beltane. Da, wo ich herkomme, in der Oberlausitz, ist am 30.04. Hexenbrennen. Hat sicherlich auch etwas mit den Hexen der Walpurgisnacht zu tun. Bei uns fliegt allerdings niemand auf dem Besen durch die Gegend, stattdessen werden die Hexen auf einen Scheiterhaufen gesteckt und verbrannt.

Man baut also eine Hexe, ähnlich einer Vogelscheuche - aus Brettern oder Ästen, alten Klamotten, Stroh..., malt ihr ein Gesicht auf und dann steht sie ganz oben auf dem riesigen Haufen aus Holz (alles, was beim Frühjahrsputz des Gartens so anfällt, oder im Laufe des Jahres so angefallen ist. Wichtig dabei ist, dass die Haufen maximal wenige Tage vorher errichtet werden dürfen, damit sich keine Vögel dort zum Nisten niederlassen.

Jedes Dorf hat gemeinhin seinen Hexenhaufen und in den Tagen vor dem großen Tag besteht traditionell ein Wettkampf zwischen den Jugendlichen der Dörfer, bei dem versucht wird, die Haufen anderer Dörfer anzustecken, so dass sie schon vor dem eigentlichen Tag herunterbrennen. Der eigene Haufen wird hingegen bewacht. Nun, wie schon an anderer Stelle mehrfach erwähnt - meine Familie ist etwas anders.

Mein Opa siedelte sich damals am Waldrand an, zum Grundstück gehörten Weide- und Obstanbauflächen ebenso wie ein Stück Wald selbst. Und auf eben diesem Grundstück machte unsere Familie von jeher ihr eigenes Hexenbrennen. (OK, ganz so einzigartig sind wir nicht - es gibt noch mehr Familien, die nicht an dem Dorf-/Sauffest-Veranstaltungen der großen Hexenbrennen teilnehmen, und ihr eigenes Ding machen. Trotzdem hatte unseres immer etwas besonderes.)

Neben mehreren Generationen der großen Familie kamen auch viele Freunde und Bekannte zu unserem Fest und genossen die ruhige Athmosphäre. Am Tag vorher wurde das sonst hüfthoch stehende Gras auf dem betreffenden Stück Wiese, das auch das ganze Jahr über Hexenplatz heißt, gemäht. Am Tag selbst wurde der Haufen aufgeschichtet, die Hexe gebastelt, Schläuche verlegt, Sandeimer bereit gestellt, das Urteil der Feuerwehr abgewartet, dann Stühle und Tische hinausgetragen. Während all dem stand meine Oma als Oberhaupt der Familie in der Küche und stellte die beiden traditionellen Hexenbrennen-Spezialitäten her: Speckkuchen und Waldmeisterbowle.

Am frühen Abend versammelten sich dann alle und nicht nur Kinderaugen leuchteten, wenn das Feuer angezündet wurde. Man besah sich das Feuer, unterhielt sich, aß und trank... Und langsam wurde es dunkel, irgendwann war das Feuer fast heruntergebrannt, und dann wurde es erst richtig gemütlich. Irgendwann gingen die Älteren dann ins Bett und sofern man eine bestimmte Altersgrenze überschritten hatte, durfte man aufbleiben und über das Feuer wachen. Ein paar Jugendliche wurden eingeteilt, um bis zum Schluss beim Feuer zu bleiben. Teilweise wurde draußen sogar geschlafen.

Am nächsten Morgen dann trafen sich Kinder und Jugendliche wieder am Feuer, bewaffnet mit Kartoffeln, Salz und Pfefferstreuer. Die Kartoffeln wurden in die noch heiße Asche gelegt und nebenbei wurde versucht, wieder ein kleines Feuer aus den Resten zu entfachen. Nach einiger Zeit holte man die Kartoffeln heraus, schälte die verkohlte Schale ab, bestreute die Kartoffeln mit Salz und Pfeffer und hatte das leckerste Frühstück, was ich mir denken kann. Dazu gabs Saft, entweder selbstgemacht oder zumindest aus eigenen Äpfeln, der noch vom Abend vorher herumstand.

Dieses ganze Ritual, vom bangen Warten ob der Regenwahrscheinlichkeit, vom Schuften bei den Vorbereitungen, vom Zauber des Feuers, die Gerüche und Geschmäcker, all das prägte meine Kindheit und ist mir heute noch so nah wie damals. Ich erinnere mich an viele verschiedene Hexenbrennen, mit verschiedenen Menschen, verschiedenen Temperaturen, verschiedenen Nässegraden ;)

Letztes Jahr gab es ein Hexenbrennen, das hauptsächlich für die Kinder stattfand und zu dem Oma nichts mehr gebacken hatte. Sie hat inzwischen vergessen, dass sie jedes Jahr Speckkuchen gemacht hatte. Auch Bowle gabs keine. Freunde und Bekannte kamen schon länger nicht mehr in großer Zahl zum Hexenbrennen. Dieses Jahr ist das ganze komplett ausgefallen - zu viel Stress bei allen Beteiligten, unter anderem auch durch Omas schwindende geistige Fähigkeiten.

Es ist anders geworden, seit ich nicht mehr zuhause wohne. Früher war Hexenbrennen selbstverständlich, ein ganz normaler Termin. Dann blieb ich ab und zu dem Ganzen fern und ging zu so genannten "Tanz in den Mai"-Veranstaltungen, während der Brauch zuhause immer mehr verfiel. Daran gedacht habe ich immer. Letztes Jahr war ich seit langem mal wieder dabei. Es war schön. Aber anders. Der Zauber war weg.

Dieses Jahr sitze ich mit einer fetten Erkältung hier in Berlin auf dem Sofa und es ist ein Tag wie jeder andere.

Und nächstes Jahr?

1 Kommentar:

  1. Ich kann mit stolz behaupten dass ich seit nunmehr 25 Jahren in Folge Hexenbrennen in meinem Heimatdorf verbringe, an der gemütlichen, von der Ortsfeuerwehr organisierten Nebenveranstaltung im Bierzelt teilnehme, bei der sich, seit ich denken kann, nichts verändert hat. Viele Freunde kommen dann zu mir, wir grillen, gucken Feuer, machen blöde und spielen zu fortgeschrittener Stunde im Zelt Luftgitarre. Wenn die Musik beendet ist, schleppen wir uns nach Hause und schlafen ne Runde. Am ersten Mai wird dann noch traditionsgemäß bis Nachmittag im elterlichen Garten herumgelungert. Schön!

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